--- Vorsicht: Dieser Beitrag könnte Spuren hanebüchener Verschwörungstheorien enthalten. ---
Mh... gehen wir mal von einem fiktiven Staat aus, den wir Leutschdand nennen und in dem Königin Anglouryka Makel das sagen hat. Leutschdand hat über Jahrhunderte gewachsene Kultur- und Bildungslandschaft, die - und das ist weltweit ziemlich einmalig - allen Bürgern zu bezahlbaren Preisen zur Verfügung steht. Das muss man an dieser Stelle betonen, denn viele nehmen an, dass beispielsweise ein Opernbesuch ein teurer Spaß wäre. Tatsächlich bekommen Hartz IV Empfänger und andere Bedürftige Karten in vielen Städten gratis (in Dresden für einen symbolischen Euro) und es gibt Angebote für Studenten, Rentner, und so weiter für zehn Euro pro Karte. Es könnte also alles ganz wunderbar sein, denn alle könnten ins Theater gehen und sich mit Bildung vollpumpen.
Jetzt stellt man in Leutschdand aber fest, dass Leute, die sich viel mit Kultur und Bildung beschäftigen, geistig frische und kritische Zeitgenossen werden. Sie durchschauen Werbemechanismen ziemlich schnell und sind somit keine guten Konsumenten und auch keine guten Wähler. Spätestens in den 68er Jahren, als große Massen an Studenten und Bildungselite gegen das Establishment auf der Straße stehen, merkt man: Das Credo der guten Bildung für alle ist eigentlich gar keine gute Idee.
Was also tun, fragt sich die Leutschdänder Regierung. Man kann ja Bildung schlecht vorenthalten, weil man sofort als restriktives Regime gelten würde. Nein, im Idealfall muss man Bildung und Kultur eben so umgestalten, dass die Leute es gar nicht mehr haben wollen. Dann könnte man sagen: "Ja, wir haben doch ganz viele Angebote, aber es geht gar keiner hin." Und am Ende könnte man die Theater und Museen dicht machen und hätte seine Ruhe.
Da kommt es der Marktwirtschaft und der Politik entgegen, dass sich in den Gettos der Städte Gegenkulturen gebildet haben, die mit ihrer kritischen Einstellung beim jungen Publikum sehr populär sind. Dankbarer Weise ist die Gruppe der dort aktiven Künstler sehr heterogen, weshalb man schnell Möglichkeiten findet, die ursprünglichen Intentionen zu unterwandern. Die Gettokünstler werden zu etablierten Stars, die mit großem Erfolg vermarktet werden und gleichzeitig von ihren alten Intentionen abrücken. Statt um ernstzunehmende Gesellschaftskritik geht es vor allem um Statussymbole, Sex und sozialen Aufstieg, was bei der Zielgruppe gut ankommt und sich gut verkaufen lässt.
Aber das reicht natürlich noch nicht. Forscher beschäftigen sich intensiv mit den Belohnungsmechanismen unseres Gehörs. Warum klingt etwas gut, wann etwas schlecht? Und bald stellen sie fest, dass das Ohr auf bestimmte Akkordabfolgen, auf bestimmte Klangarten und andere Dinge positiv reagiert. Man kann quasi ein Rezeptbuch zusammenstellen, dessen Zutaten man immer wieder neu mischt und es immer irgendwie gut klingt. Man perfektioniert diese Technik immer weiter bis man in der Lage ist, Hits quasi aus der Retorte für das Massenpublikum zu produzieren.
Die Bürger von Leutschdand und auch woanders auf der Welt finden das natürlich großartig. Selbstverständlich findet diese Entwicklung nicht nur in der Musik statt, sondern in allen Künsten. Ob Film, Literatur, Kunst - die Art und Weise, wie sich Erfolge bei der Masse funktionieren wird zum Rezept, mit dem man ein immer größeres Publikum erreichen kann. Und schon interessiert es keinen mehr, ob man die Geschichte nicht schon zwanzigmal gesehen, das Musikstück nicht eigentlich schon in verschiedenen Varianten gehört hat. Die Belohnungsmechanismen im Gehirn springen an und machen glücklich - also muss es ja auch gute Kunst sein.
Da man nun natürlich völlig banalen Blödsinn in die Texte verfrachten kann, entpolitisiert man sämtliche Kunst für Masse total. Wenn mal jemand mit Gesellschaftskritik aufwartet, kratzt er eh nur an der Oberfläche. Denn wie kann man in durchschnittlich drei Minuten Stücklänge komplizierte Sachverhalte musikalisch auf den Punkt bringen? In Filmen ist das schon einfacher, aber hey, die Leute wollen das gar nicht mehr sehen. Was für ein Glück! Es reicht irgendwelche hanebüchenen animierten Technikmonster gegeneinander kämpfen zu lassen und die Kassen klingeln. Filme über Hungersnöte, über Korruption, Machtmissbrauch und Slums gibt es natürlich noch. Aber entweder dienen sie als Aufhänger für Action geladene Storys oder keiner guckt sie sich an.
Als besonders genial erweist sich das Fernsehen. Vier Stunden schaut ein Bürger Leutschdands - jeden Tag! Perfekte Spielwiese auch dafür, festzustellen, wie weit man das Bildungsniveau noch herunterschrauben und gleichzeitig das Unterhaltungsniveau steigern kann. Bald kann man einem Haufen armseliger pseudoprominenter Gestalten beim Kakerlaken fressen zuschauen, gruseligen Gestalten beim alltäglichen Leben in einem Container zuschauen oder sich fiktionale Geschichten von Laiendarstellern als echt verkaufen lassen. Besonders beliebt sind auch Formate, in denen bestimmte Minderheiten vorgeführt werden. Da eignen sich dicke Menschen, die mit anderen dicken Menschen verkuppelt werden sollen, oder skurrile Bauern, die Frauen suchen, oder auch toll kleinwüchsige, die für eine ganze Bandbreite an blöden Wortspielen herhalten müssen. Die Zuschauer werden daran erinnert, wie viel besser sie sind und fühlen sich zufrieden.
Bliebe noch das Internet. Ja, das ist ein echtes Problem, denn dort lassen sich viele alternative Angebot einfach und weit verbreiten. Wie schnell dort Massen mobilisiert werden können, macht den Leuten aus Politik und Wirtschaft Sorge. Auch lassen sich kritische Informationen viel leichter finden. Aber auch hier kann man großteils wie auch bei den anderen Medien verfahren. Die meiste Zeit verbringen die Bürger auf Seiten wie Youtube oder Facebook. Kritische Informationen lassen sich einfach im Rauschen einer wahren Informationsflut wegspülen. Man lanciert einfach so viele unterschiedliche Berichte, bis keiner mehr wissen kann, was wirklich Wahrheit ist. Damit aber ja keiner im wahrsten Sinne des Wortes durchs Netz geht, installiert man zusehends aufwändige Überwachung. Es lassen sich alle Onlinegewohnheiten erfassen und die Algorithmen werden immer genauer. Bald schon kann Aussagen darüber treffen, ob jemand schwanger ist, ob sich ein Paar bald trennen wird und natürlich auch, ob sich jemand für Dinge interessiert, die einem vielleicht einmal gefährlich werden könnten.
Kurzum: Alles läuft wie geplant. Die Menschen sind glücklich und zufrieden und vor allem: Sie sind ruhig. Als mehrere Skandale wie generalisierte Überwachung, radikale Kürzungen im sozialen Bereich, Verstrickungen von Wirtschaft und Politik und andere Dinge aufbrechen passiert - nichts. Mal gehen ein paar Leute auf die Straße, die man dann mit zwei drei kleinen Zugeständnissen beruhigt. Damit etwaige Unzufriedenheiten aber dennoch entweichen können, nutzt man die Medien, um belanglose Dinge zu großen Skandalen aufzuputschen. Besonders gut eignen sich dafür Themen wie Gesundheit, wo in aller Regelmäßigkeit von neuen, die Menschheit bedrohenden Seuchen berichtet wird. Oder Fehltritte von Politikern, die man eigentlich eh gar nicht mehr haben möchte. Also bauscht man deren kleinen, aber dennoch rügsamen Verfehlungen ganz gewaltig auf und zieht dann daraus medienwirksam drastische Konsequenzen. Alle nicken zufrieden und setzen sich wieder an ihren Fernseher.
Und die Kultur? Nun, ganz verzichten möchte man darauf natürlich nicht. Denn Orchester, Opernhäuser und Theater machen sich vor allem gut für die Wirkung auf das Ausland. Und einen kleinen Haufen Bildungselite kriegt man einfach nicht weg, also muss man die auch irgendwie beschäftigen. Glücklicherweise wohnt die vor allem in Großstädten und anderen Regionen großer Dichte. Die einstige Kulturlandschaft von Theatern überall im ganzen Land kann man also Stück für Stück abbauen. Denn nachdem man das Volk gefügig gemacht hat, kann man es ganz wunderbar ausquetschen. Auf der einen Seite arbeiten die Leutschdänder so viel für so wenig wie noch nie - auf der anderen Seite konsumieren sie so viel wie noch nie.
Und da muss ja auch bei der Kultur noch was gehen. Doch es regt sich Widerstand, aber auch hierzu hat man eine Lösung parat. Durch geschickt lancierte Projekte baut man wahre Kulturpaläste. Die Albphilharmonie in der Stadt Humbug verschlingt mehrere hunderte Millionen Taler und die Leute sind außer sich. Auch andere Leuchttürme der Kultur bekommen teure Projekte an den Hals gedrückt, die zwar am Ende nichts an der Qualität ändern, aber mit denen sich die Politiker einerseits Prestige trächtige Denkmäler setzen können, die sich aber andererseits auch hervorragend dafür eignen, um Stimmung gegen Kultur zu machen. Die Schlagzeilen von den Milliarden an verschwendeten Geldern machen die Bürger ungnädig. Kultur ist viel zu teuer, sagen diese und abgesehen davon geht doch eh kaum einer hin.
Mit dem Segen der Bevölkerung kann man also Stück für Stück alles abbauen. Die Independent-Szene macht zwar auch ihren Kram, aber kann damit nicht wirklich etwas erreichen. Künstler, die von ihrer Arbeit leben wollen, sind auf staatliche Förderungen angewiesen, die wiederum oft von Leuten vergeben werden, die dort bewusst platziert sind und sich die Leute raussuchen, die nichts produzieren, was in irgendeiner Hinsicht "gefährlich" werden kann. Und selbst wenn - die vereinzelten kritischen Thinktanks können in keiner Weise irgendetwas ausrichten. Tatsächlich sind sie ein wunderbares Auffangbecken für die kleine intellektuelle Schicht, die mit den Begebenheiten im Lande nicht zufrieden sind. Mögen die sich doch einmal die Woche treffen und darüber reden, wie schlecht die Welt ist. Am Ende gehen alle wieder nach Hause und alles bleibt, wie es ist.
Aber gut, dass das hier nur ein fiktiver Fall ist. Anglouryika Makel ist eine böse Person, die es in der Realität nicht gibt und natürlich sind die Sachverhalte bei uns auch ein wenig komplexer.